Dass Musiker heutzutage kein Label mehr brauchen, um ihre Musik zu veröffentlichen, wird oft und mit großer Leichtigkeit dahergesagt. Dass sich die Musik aber nicht auf magische Weise von alleine verkauft, sondern eben wie von einem Label vermarktet werden muss, verschweigen die Anbieter netter Kürschen, Ratgeber oder schlauer Hacks nur allzu gerne.
Geschürt wird die Mär des Do-It-Yourself Erfolges dann noch von medial schlau inszenierten (und „inszeniert“ ist eben das Schlüsselwort) Geschichten über virale Über-Nacht-Erfolge wie den vom Gangnam Rapper, hinter denen dann bei genauerem Hinsehen doch ausgeklügelte Kampagnen, somit auch sehr viel Geld und am Ende doch auch wieder ein Label stehen.
Und die mit zahlreichen Tipps, Versprechen und klugen Ratschlägen überschütteten sich selbst vermarktenden Musiker fragen sich zurecht, warum es bei ihnen eben nicht so geschmiert läuft wie in den schönen Geschichten der anderen, die sich nur noch fragen müssen, ob sie ihr Geld nun mit dem Feuerzeug oder dem Streichholz verbrennen sollen.
Wie sieht es aber nun wirklich aus bei den selbstvermarktenden Musikern im deutschsprachigen Raum? In einer Umfrage habe ich gut 50 Kandidatinnen und Kandidaten auf den Zahn gefühlt. Schön anonym, um den Drang zur Angeberei und übertrieben guter Selbstdarstellung auszuschließen.
Zunächst klopfen wir einmal die Rahmenbedingungen ab, finden heraus, mit wem wir es zu tun haben.
Schon etwas länger im Geschäft
Nun mag es vielleicht an der Leserschaft des MusicBiz Madness Newsletters liegen, aber mit knapp 40% stellen die über 40-jährigen die stärkste Gruppe der Selbstvermarkter dar. Gefolgt übrigens von den Ü50ern mit 28% und den 21- bis 30-jährigen mit knapp 10%. Unter 20 und über 60 hat offenbar – betrachten wir es positiv – niemand teilgenommen.
Die Hälfte aller Befragten versucht schon seit mehr als zehn Jahren, mit ihrer eigenen Musik Geld zu verdienen. Mit 22% stehen dann die Einsteiger mit weniger als drei Jahren auf dem musikgeschäftlichen Buckel an zweiter Stelle. Nach fünf bis sechs Jahren scheinen viele dann an einem Scheideweg angekommen zu sein, geneigt, alles wieder in die Tonne zu hauen.
Zwei Alben im Schnitt
Ein knappes Drittel der Befragten hat zwischen 11 und 25 fertig produzierten, veröffentlichungsreifen Songs auf Lager, gefolgt zu gleichen Teilen von jenen Musikern mit weniger als zehn sowie mit bis zu 40 Songs. An dritter Stelle rangieren dann Musiker mit über 100 Titeln, die sich wohl vorwiegend im Bereich der Production Music, also Sync, sprich Musik für Film und Fernsehen bewegen.
Ja, Potential ist also grundlegend vorhanden. Aber wie zeigt sich dies nun im Verdienst der Befragten?
Konzerte und physisch ganz vorne
Bei den Antworten, in welchen Bereichen selbstvermarktende Musiker mit ihrer eigenen, also selbst geschriebenen Musik das meiste Geld verdienen, liegen Konzerte ganz knapp vor dem Verkauf physischer Tonträger auf Platz eins. Es folgen mit dezentem Abstand der Verkauf von Downloads, Einnahmen aus Streaming, Youtube Monetarisierung und Sync.
Dennoch bleibt nach all dem der Wermutstropfen: eigene Musik macht bei den Befragten im Schnitt lediglich 36% ihres gesamtmusikalischen Einkommens aus. Ein gutes Drittel also. Oder ist das am Ende doch beachtlich?
…und die Verkaufszahlen sind bescheiden
Der amerikanische Indievertrieb CD Baby nannte einst 88 Exemplare eines Albums eines unbekannten Künstlers als repräsentative Durchschnittsverkaufszahl. Bei der hier vorliegenden Umfrage knackten immerhin bescheidene rund 7% die 1000er Grenze, Respekt dafür! Mit 28% stellen Musiker mit weniger als 50 verkauften Einheiten allerdings die stärkste Gruppe dar. Downloads und physische Tonträger sind hier zusammengefasst.
Doch woran kann das liegen? Die nächsten beiden Fragen liefern eine Erklärung.
Marketing: Fehlanzeige
Im Gegensatz zu beispielsweise ihren amerikanischen Kollegen erweisen sich deutsche Musiker als wenig investitionsfreudig. Knapp 38% der Befragten geben überhaupt kein Geld für die Vermarktung ihrer Musik aus, das ist die deutliche Mehrheit. Erst mit 15% folgt die nächste Gruppe, die sich immerhin 50 Euro pro Albumveröffentlichung aus dem Ärmel zaubern kann.
Knapp dahinter liegen mit je 13% die Gruppen, die bis zu 250 oder gar 500 Euro für Marketing und Promotion ausgeben. Damit lässt sich durchaus etwas erreichen. Einige ganz wenige lassen sich ihre Veröffentlichung sogar über 1.000 Euro kosten.
Nun muss man ja nicht zwingend eine Werbeagentur oder einen Musikpromoter engagieren, obwohl sich letzterer durchaus als nützlich erweisen kann. Mit überwiegend zeitlichem Aufwand kann man es durchaus auch selbst bewerkstelligen, stilistisch relevante Blogs, Websites, online Radios, Betreiber von Playlisten sowie das eine oder andere gedruckte Heft zu Rezensionen, Einsätzen oder Interviews zu bewegen. Gute Recherche und Kontaktpflege vorausgesetzt, gepaart mit Durchhaltevermögen.
Doch auch hier kommt der Hammer an erster Stelle: Die meisten Musiker, ein knappes Drittel, bemustern solche Medien überhaupt nicht. Über bis zu zehn Medienkontakte verfügen immerhin 28% der Befragten, während 16% bereit sind, bis zu 20 Kontakte mit ihrer Musik zu beliefern. Immer dünner wird es dann bei Promotionkampagnen, die zwischen 40 und 100 Medienvertreter oder gar mehr umfassen.
Woran liegt die Werbeverdrossenheit?
Die Tatsache, dass so viele Musiker gar so wenig tun, um sich und ihre Musik richtig bekannt zu machen, liegt zum einen natürlich darin begründet, dass viele gar nicht wissen, wie so etwas geht. Im Werdegang eines Musikers wird dieses geschäftliche Thema zwischen bornierter Instrumentenkunde und reißerischen Business-Hacks nämlich nur unzureichend bis gar nicht besprochen.
Und dann kommen eben die anfangs erwähnten halbgaren und halbwahren Geschichten dazu, der Waschmittelvertreter will erklären, wie man Musik verkauft und Anbieter von 20-Kilos-in-acht-Tagen Abzockprogrammen glauben, ihre Verkaufsmethode nun auch den Musikern beibringen zu müssen – für viel Geld.
Es entsteht eine große Orientierungslosigkeit hinsichtlich dessen, was denn nun werbetechnisch wirklich funktioniert. Gestern Facebook, heute Instagram, morgen wieder etwas anderes – „ich blicke in dem Dschungel der Möglichkeiten nicht mehr durch“ ist somit mit 37% die häufigste Antwort auf die Frage nach den Werbemöglichkeiten, die sich selbstvermarktenden Musikern heute bieten.
Dass nur wenig von alledem funktioniert sagen 30%. Gut 26% freuen sich dagegen über das Angebot und sehen immerhin gute Möglichkeiten eines Werbemixes, während sich dann knapp 23% lieber auf maximal drei Methoden beschränken. 20% finden, dass ohne viel Geld und professionelle Dienstleister nichts mehr geht.
Sorgen, Wünsche und Nöte
27 Teilnehmer habe die Möglichkeit genutzt, sich anonym und in freien Stücken zu dem Thema Selbstvermarktung zu äußern. Und hier bestätigt sich meine Annahme: die meisten wären bereit, mehr zu tun, wenn sie genauer wüssten, wie sie etwa eine Marketingkampagne anlegen und umsetzen könnten.
Doch immer wieder tauchen auch die zunehmend schwierigeren Rahmenbedingungen auf: der überfüllte Markt, die Kluft zwischen medial bekannten und unbekannten Musikern und das daraus resultierende Konzertgehverhalten insbesondere der jüngeren Generation, der Zwang, Musik wegen mangelnder Wertschätzung nur noch zu verramschen – und vor allem: die häufig fehlende Zeit, um all die Aufgaben erledigen zu können. Klarer Vorteil für Bands, die solche Aufgaben auf die einzelnen Mitglieder verteilen können – ein Haufen Zeug für Solisten (aber die müssen wenigstens das Geld nicht teilen).
Ein politisch inkorrektes Fazit
Ich weiß, dass ich mir jetzt viele Freude mache, einerseits unter den Traditionalisten und zum anderen unter den Träumern. Aber die Wahrheit sieht nun mal so aus. Musiker erfahren definitiv zu wenig über die geschäftliche Seite. Es reicht eben nicht aus, das Akronym GEMA aufzuschlüsseln oder zu unterrichten, wie man einen Facebook Account anlegt.
Werbung und vor allem die Psychologie dahinter ist gerade für Selbstvermarkter von immenser, ja von grundlegender Wichtigkeit. Die erfolgreichen unter den mir persönlich bekannten Musikern ‚opfern’ gut die Hälfte ihrer Zeit für geschäftliches. Wahrscheinlich müsste es noch mehr sein.
Wir sehen ja immer wieder, dass es nicht zwingend die besten Kunstwerke sind, die sich in den Charts tummeln. Die Kunst liegt hier schlichtweg vorwiegend in der Vermarktung. Akzeptiert Marketing als eine weitere Kunstform. Ein neues Mikro für 800 Euro lässt Euch nicht mehr Musik verkaufen, nur weil der Gesang jetzt geringfügig wärmer oder klarer klingt. Eine Kampagne zum halben Preis hingegen schon. Jetzt gesellen sich auch die Equipmenthersteller zu meinen Freunden. Seid mir gegrüßt.
Am Ende des Tages heißt es: auf den Arsch setzen, sich selbigen abrackern, all die unangenehmen Dinge tun, sich von schlechtgelaunten Rezensenten beschimpfen lassen, von Labels abwimmeln lassen, aufstehen, weitermachen – den Vorgang wiederholen.
Und so viel wie möglich über das Musikbusiness lernen. Jeden Tag etwas neues. Vieles davon ist Blödsinn, aber es ist wie in einem Plattenladen: hinter 30 grauenvollen Platten steht ein wahrer Schatz. Zumindest im nächsten Laden… oder im übernächsten. Nicht aufgeben, das ist so normal. Und wartet nicht darauf, dass Euch jemand hilft, schon gar nicht der Staat. „This is your life and you’ll fight it on your own“ (Arcade „Never Goin’ Home“)
Und noch ein Tipp: Beobachtet andere Bands in Eurem Genre. Wenn eine Band überall auf Facebook erscheint und heftig diskutiert wird, nehmt sie genauer unter die Lupe. Was hat die Band bisher gemacht? Wo kann man außerdem über sie lesen? Wo gibt es Interviews? Wo gibt es ihre Musik zu kaufen? Steckt ein Promoter dahinter? Macht es ihnen 1:1 nach.
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